Vortrag von Prof. Dr. Peter Andersen (Straßburg) im Rahmen des Forums Germanistische Mediävistik: Ehe oder Treue – warum heiratet Tristan Isolde Weißhand nicht bei Gottfried? Mi, 04.12.2013, 18-20 Uhr, HS 1015, KG I

Nach 19548 Versen bricht Gottfrieds 'Tristan' unvermittelt ab. Der Held hat sich gerade von Isôt la blunde, marveil de tû le munde, verabschiedet und in Arundel Isôt as blanschemains getroffen. Traditionsgemäß müsste er die Namensschwester seiner Geliebten heiraten, aber soweit kommt es nicht. Die Erklärung der Fortsetzer, der Abbruch sei auf den frühzeitigen Tod des Dichters zurückzuführen, stößt seit 80 Jahren auf Skepsis. Einige Forscher haben das unmittelbare Gefühl, dass eine Ehe mit der zweiten Isolde mit Gottfrieds Grundgedanken unvereinbar ist. Sie halten deshalb das Gedicht für ein „konzeptionelles Fragment“ (Nicola Kaminski 2008). Diesem Lager wird gewöhnlich entgegnet, der vorliegende Text enthalte drei unvollständige Akrosticha. Gottfried müsse doch geplant haben, im letzten Teil des Gedichts den angefangenen Namen GOTE, TRIS und ISOL irgendwelche Schlussbuchstaben anzuhängen. Eine strukturelle Untersuchung des Texts mit Fokus auf das Ende und eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Initialen werfen ein neues Licht auf diese umstrittene Frage und bringen uns vielleicht der Botschaft des Dichters einen Schritt näher.