Projekt "Mittelalter und Schule"
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Das "alte" Projekt "Philologie und Schule" (Philosch), seinerzeit vom Stifterverband und der Baden-Württemberg-Stiftung ausgezeichnet, hat sich weiterentwickelt und heißt jetzt Mittelalter und Schule - weil es auch über die Philologie hinaus reicht und die geschichtswissenschaftliche Perspektive mit einbezieht.
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Mittelalter in die Schule!
Das Mittelalter hat im schulischen Lehrplan einen schweren Stand. Dieser Status quo wird häufig beklagt, ohne dass sich (bisher) eine Patentlösung gefunden hätte, die immer wieder festgestellte gesellschaftliche Mittelalterbegeisterung in der Schule zu nutzen. Zu oft wird die Kombination aus fachwissenschaftlichem Anspruch, fachdidaktischer Reduktion und bildungspolitischen Vorgaben als Quadratur des Kreises begriffen, bei deren Durchführung entweder Komplexität auf der Strecke bleibt oder die Anwendbarkeit in der Schule nicht gegeben ist. Die Schwierigkeit, eine Balance zwischen den Bereichen Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Fachpraxis zu finden, dokumentiert auch die Fülle neuerer Publikationen, die entweder grundsätzliche Neuorientierung fordern oder versuchen, fachwissenschaftlich relevante Inhalte auch für die Schule anwendbar zu machen. Und obwohl sich in dem Grenzgebiet zwischen Theorie und Praxis inzwischen viele Projekte zur Schul- und auch Hochschuldidaktik der Mediävistik entwickeln, fehlt noch eine einheitliche, bündelnde Orientierung hin zu einer interdisziplinären Mittelalterdidaktik: Diese muss die Disziplinen verbinden, für Forscher*innen genauso wie für Student*innen und Lehrer*innen anschlussfähig sein und sollte das Ziel verfolgen, Appelle zur Nutzung des Mittelalters im Unterricht unnötig zu machen – das Mittelalter kann und sollte fester Bestandteil des Schulunterrichts sein, dafür gibt es gute Gründe und dazu gibt es auch, von Fachwissenschaft und Fachdidaktik konzipiert, umfangreiche Angebote.
Seminarprojekt (II): Literarische Transkulturalität in der außereuropäischen Vormoderne
Das Mittelalter in die Schule zu bringen, war Leitmotiv zweier Seminare zur literarischen Transkulturalität in der Vormoderne. Ein erster Reader zur europäischen Perspektive ist bereits online und Interessierten wie Lehrkräften an den Schulen frei zugänglich. Nun folgt aus dem zweiten Seminar, das im Sommersemester 2021 stattgefunden hat, ein zweiter, ebenso von den Student*innen erstellter Reader aus außereuropäischer Perspektive. Nach aktuellem Stand wird eine solche Perspektive – gerade in den Lehrplänen zum Mittelalter – in den baden-württembergischen Schulen nur selten geboten. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, hier Abhilfe zu schaffen: Wir möchten aus der Mediävistik Impulse einbringen, um der gegenwärtigen Debatte über BTV neue historische Dimensionen zu eröffnen und die Sensibilität der Lehrkräfte für das Thema durch den Rekurs auf die Alterität der mittelalterlichen Quellen zu schärfen. Lehramtsstudent*innen unseres Seminars präsentieren in diesem Reader nun ein weiteres Mal konkrete Vorschläge, wie sich fachwissenschaftlich relevante Inhalte für die Schule anwendbar machen lassen.
Neu ist die außereuropäische Perspektive. Sowohl die christliche, jüdische als auch die islamische Welt lassen sich in ihren vielfältigen Facetten nicht ausschließlich aus der europäischen Geschichte „wegschreiben“. Der transmediterrane Blick ist erforderlich: Dabei geht es nicht darum, Geschichte nur geographisch zu erzählen, sondern auch kulturell, d.h. aus den verschiedenen Perspektiven, die in den Quellen fassbar werden.
Was bedeutet das für den Inhalt des Readers? Janis Hauber, Lena Huber und Silas Rebelato werden in einem ersten Kapitel das Zusammenleben in den Kreuzfahrerstaaten in den Blick nehmen und danach fragen, wie man etwa die ungleiche Behandlung der Muslime durch Franken im Unterricht thematisieren könnte. Im zweiten Kapitel werden in der Zeit des Hoch- und Spätmittelalters der süditalienische Melting Pot Sizilien behandelt: An drei sehr unterschiedlichen Quellen und damit Perspektiven – Ibn-Dschubairs, Benjamin von Tudelas und Gaufredus Malaterras – überlegen Mathilde Schweickert, Felix Nussbaumer und Leon Lässig, inwieweit das kulturelle Kapital der eigenen Religion oder Herkunft in der Konfrontation mit „dem Anderen“, dem Fremden, hier: dem multikulturellen Süditalien vor dem Hintergrund des selbst Erlebten gewogen bzw. abgewogen wird. Vivien Ruppert, Hannah Oschwald und Carmen Siegmund besprechen im dritten Kapitel Fremdheitserfahrungen, Identität und Transkulturalität im Wigalois Wirnts von Grafenberg. Sie unterbreiten Vorschläge, inwiefern sich dieser „große Block an Religiosität im Mittelalter“ auch in der schulischen Oberstufe unterrichten ließe. Viertens gehen Wanda Metzger, Jessica Trescher und Charlotte Prestel Reise- und Gesandtenberichte Asiens am Beispiel Marco Polos nach. Welche typischen Themen zur Beschreibung des Fremden Marco Polo etwa heranzieht, wird hier gezeigt. In einem fünften Kapitel bieten Till Iseken und Dominik Lüchinger einen frühneuzeitlichen Einblick in die Wahrnehmung von Fremdheit bei Bernhard von Breydenbach und Konrad Grünemberg. Dazu wird die Gattung des Pilgerberichts erläutert und in einen historischen Kontext eingebettet und die Frage nach Interaktion einzelner Individuen zwischen verschiedenen Kulturen gestellt. Im abschließenden Kapitel fragt Samir Laabous nach der Auseinandersetzung druschsprachiger Autoren mit dem Islam und dem Osmanischen Reich am Beispiel Martin Luthers.
Alle Beiträge stehen für sich. Wir danken den Student*innen des Seminars für ihr besonderes Engagement, das weit über den normalen Rahmen von Seminaranforderungen hinausgegangen ist, und sind gespannt auf den Widerhall, den diese Überlegungen erhalten werden. Wir werden mit Interesse beobachten, ob das Mittelalter nun tatsächlich (s)einen Platz in der Schule finden wird. Hier gelangen Sie zum Beitrag, der online zur freien Verfügung steht: Reader Transkulturalität Außereuropäische Perspektiv
Seminarprojekt (I): Literarische Transkulturalität in der europäischen Vormoderne
In einem Seminarprojekt, das als Kooperation zwischen der Geschichtswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Freiburg und der Germanistik der Universität Freiburg entstanden ist, verfolgen wir (Julian Happes, PH und Stefan Seeber, Uni) das Ziel, einen weiteren Baustein auf dem Weg zu einer interdisziplinären Mittelalterdidaktik zu erarbeiten. Gemeinsam mit Student*innen aus beiden Hochschulen nehmen wir interdisziplinär die Möglichkeiten in den Blick, Mittelalter für Lehrer*innen und Schüler*innen nicht nur interessant, sondern auch erkenntnisfördernd einsetzbar zu machen. Die Arbeit hat den Nebeneffekt, dass die Studierenden, die an PH und Uni im modularisierten Lehramtsstudium eingeschrieben sind, auch während ihrer Zeit der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Ausbildung einen Bezug zur Praxis haben: Je enger der Kontakt zwischen Hochschule und Schule gestaltet werden kann, umso besser ist das für alle Beteiligten.
Wir bringen Impulse aus der Mediävistik ein, um der gegenwärtigen Debatte über BTV neue, historische Dimensionen zu eröffnen und die Sensibilität der Lehrer*innen für das Thema durch den Rekurs auf die Alterität der mittelalterlichen Quellen zu schärfen. Dabei arbeiten wir auch gegen gefestigte Stereotype der öffentlichen Wahrnehmung an. Der globalisierten pluriformen Welt des 21. Jahrhunderts wird mitunter popkulturell die Idee eines Mittelalters entgegengestellt, das durch vermeintlich klare kulturelle und religiöse Dichotomien geprägt ist.
Dieser vereinfachenden Idee steht eine Vielzahl an mediävistischen Forschungsansätzen entgegen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten zunehmend für eine polyvalentere Sichtweise argumentieren. Michael Borgolte hält programmatisch fest: „Kein ernstzunehmender Historiker würde heute noch vom „christlichen Mittelalter“ sprechen. [...]. Für jeden, der genau hinsah, war schon immer die religiöse Einheit des Mittelalters unter dem Zeichen des Kreuzes eine zu starke Vereinfachung, wenn nicht ideologische Täuschung [...]. Manche beunruhigt, dass mit der einen Kultur eine sicher geglaubte Identität der Geschichte verlorengegangen ist, andere erkennen in der plurikulturellen Auffassung der Epoche die adäquate Antwort auf Erfahrungen der Gegenwart.“
Borgoltes Ansatz eines plurikulturellen Verständnisses des Mittelalters haben wir im Rahmen des Projekts aufgegriffen und auf das von Wolfgang Welsch entwickelte Konzept einer Transkulturalität hin ausgeweitet. Die damit verbundene Fragestellung war die nach der Möglichkeit einer transdiziplinären Mediävistik an der Schnittfläche von Literatur- und Geschichtswissenschaft unter dem Leitbegriff der Transkulturalität, also mit Blick auf das, was Welsch als das Verbindende zwischen den Kulturen ausgemacht hat. Welsch geht es in seinem Ansatz darum, die bestehende Vorstellung von Kulturen als in sich homogene, nach außen klar abgrenzbare Entitäten abzulösen durch die Idee von Kulturen als Geflechten oder Netzen, die horizontal ebenso wie vertikal differenziert und gleichzeitig miteinander vernetzt sind. Welsch unterscheidet in Hinblick auf Transkulturalität eine Mikro- und Makroebene: Der moderne Mensch ist per se transkulturell, er ist geprägt durch mehrere kulturelle Muster, in ihm verbinden sich unterschiedliche kulturelle Elemente. Die innere, also individuelle Transkulturalität ist Bedingung für die externe Transkulturalität. Da jedes einzelne Individuum in diversen kulturellen Netzwerken ‚mitspielt‘, werden, zumindest in der Theorie, bestehende kulturelle Stereotype wie Nation oder Rasse obsolet. Transkulturalität als neues pädagogisches Leitkonzept stellt kulturelle Aneignungsprozesse, die Menschen sowohl im globalen wie lokalen Kontext zu leisten haben, in den Mittelpunkt.
Der baden-württembergische Bildungsplan fordert von Deutsch- und Geschichtslehrer*innen explizit, Schüler*innen Vielfalt als gesellschaftliche Realität zu vermitteln und die Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheit zu stärken. Dies kann durch den historischen Blick auf Formen von Vorurteilen und Stereotypen sowie des interkulturellen und interreligiösen Dialogs geschehen. Zur Umsetzung dieser Forderungen schlagen wir vor, das Leitprinzip der Transkulturalität fächerübergreifend zu denken. Der Begriff hat dabei eine doppelte Bedeutung: Als historisches Phänomen verweist er auf die Prozesshaftigkeit und Konstruiertheit kultureller Zuschreibungen in der Geschichte, als pädagogisches Ziel auf die Achtung und Wahrnehmung der kulturellen Fluidität der Schüler*innenidentitäten. Der historische Zugang legt die Bedeutung, aber auch das Konfliktpotenzial kultureller Begegnungen im Mittelalter offen, der literaturwissenschaftliche Zugang hingegen erschließt quellennah Sprache als Konstruktionsmedium von kulturell vorgeprägten Vorurteilen und Stereotypen und offenbart deren Wirkmacht bei der Zuschreibung und Bewertung von fremd und eigen.
Um Missverständnissen vorzubeugen: In den Arbeiten der Student*innen des Seminarprojekts geht es nicht darum, in jedem mediävistischen Themenfeld Spuren von Transkulturalität aufzudecken; ganz im Gegenteil zeigen viele Quellen deutliche Einteilungen von „fremd“ und „eigen“, die modernen Augen überhaupt nicht transkulturell erscheinen und die auch nicht dem älteren Paradigma der Interkulturalität zu gehorchen scheinen. Die strengen Dichotomien zwischen „uns“ und den „anderen“ (z. B. bei antisemitischen Schriften, aber auch bei der Ausgrenzung von als Hexen „identifizierten“ Frauen) dienen vielmehr dazu, aus der Betrachtung der historisch gewachsenen Konfliktsituationen heraus im Schulunterricht ein Problembewusstsein zu generieren, das die Konflikte der eigenen Gegenwart historisch perspektiviert. Die transkulturelle Sichtweise ist die der Reflexion und der kritischen Sicht auf diese Konstellationen, sie ist eine Leistung, die im Unterricht von Lehrer*innen und Schüler*innen in der Auseinandersetzung mit den Quellen erbracht wird. Dieser Zugriff kann neue Möglichkeiten eröffnen, das BTV-Thema mit der Lehrsituation in der Schule zu verbinden: Es finden sich im Arbeitspapier, das die Student*innen hier vorlegen, nicht nur zahlreiche Vorschläge von möglichen Quellenarbeiten und Fragestellungen, sondern immer auch Hinweise zur Einordnung des jeweiligen Themas in ein größeres Ganzes, in einen Unterrichtszusammenhang, der nicht allein auf BTV beschränkt ist, die Leitperspektive aber organisch in die Arbeit im Klassenraum einbettet. Hier gelangen Sie zum Beitrag, der online zur freien Verfügung steht: Reader Tra
Elina Feser: Das 'Nibelungenlied' als unfester Text ohne Autor. Ein Unterrichtsentwurf für die Mittelstufe
Der aktuelle Stand mittelalterlicher Texte als Unterrichtsgegenstand im Deutschunterricht ist geradezu ernüchternd. Diese Diagnose hatte eine intensive Diskussion über die Rolle und Relevanz der Mediävistik im schulischen Kontext zur Folge. Obwohl die in diesem Rahmen geäußerten Forderungen nach einer stärkeren Einbindung mittelalterlicher Literatur in den Bildungskontext bisweilen kritisch betrachtet werden müssen, ist das in der Diskussion hervorgehobene Potenzial, das die Behandlung mittelalterlicher Texte birgt, sicher nicht von der Hand zu weisen. Der Versuch der Einbindung mittelalterlicher Texte in den Deutschunterricht sollte dabei von einer stärker pragmatischen Vorgehensweise geprägt sein: Das Ziel sollte nicht eine Akademisierung des Schulunterrichts, sondern eine Orientierung an der Zielgruppen und den Vorgaben des Bildungsplans sein. Werden mittelalterliche Texte als eine sinnvolle Ergänzung zu den dort geforderten Kompetenzen in den Unterricht eingebunden, dann bietet ihre Behandlung speziell durch eine Kontrastierung mit den modernen Verständnissen und lebensweltlichen Umständen einen besonderen Mehrwert. Ausgehend von diesen Überlegungen wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Unterrichtseinheit zum ‚Nibelungenlied‘ entworfen. Die große Komplexität des Textes und seine hohe Alterität bieten die Möglichkeit, an unterschiedlichen Stellen anzuknüpfen und den Text im Sinne unterschiedlicher Funktionen für die Lehre produktiv zu machen. Der gewählte Schwerpunkt dieser Unterrichtseinheit für die Mittelstufe liegt auf einem Stationenlernen zur besonderen Materialität mittelalterlicher Texte: Neben dem Entstehungs- und Überlieferungskontext wird auch das Problem der Autorschaft in mittelalterlichen Texten exemplarisch anhand des ‚Nibelungenlieds‘ behandelt. Ziel der Unterrichtseinheit ist es dabei, die Schülerinnen und Schüler (SuS) für die Differenzen zwischen mittelalterlichen und modernen Texten zu sensibilisieren und sie zu einem kritischen Hinterfragen eigener moderner Vorstellungen von Text und Autorschaft anzuregen. Nach einem Umriss der Diskussion über die Rolle mediävistischer Inhalte in der Schule (Kap. 1) wird der Frage nachgegangen, inwiefern das ‚Nibelungenlied‘ exemplarisch als Unterrichtsgegenstand herhalten kann (Kap. 2). Es schließt sich eine kurze Beschreibung der entworfenen Unterrichtseinheit zum Thema ‚Das ‚Nibelungenlied‘ als ‚unfester Text‘ ohne Autor‘ an (Kap. 3), die abschließend durch einen fachwissenschaftlichen Horizont ergänzt wird (Kap. 4). Dabei soll auch auf das Problem der didaktischen Reduktion eingegangen werden. Hier gelangen Sie zum Beitrag, der online zur freien Verfügung steht: Nibelungenlied
Archiv "Mittelalterliche Literatur und Schule"
Hier finden Sie Informationen zu älteren Projektarbeiten des AK Mittelalterliche Literatur und Schule:
Wettkampfpoetiken: Sangspruch und HipHop (2012)
Filme im Deutschunterricht - Brücken ins Mittelalter? (2011)
Mittelalterliche Literatur in Schulbüchern (2009)
Minnesang in der Schule (2008)
Das Nibelungenlied in der Schule (2007)
Der Artusroman in der Schule (2006)